Christentum und Philosophie: zu Habermas' Rede "Glaube und Wissen" von 2001*).
- Mit Anmerkung zu weiteren philosophischen Richtungen -
Der Philosoph Prof. Dr. Jürgen Habermas, bisher als unreligiös betrachtet***), erkannte die Wichtigkeit religiöser Vorstellungen auch als Wurzel der Werte und des sozialen Zusammenhalts einer weltlichen Gesellschaft. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, geschaffen mit der Fähigkeit und dem Recht auf Freiheit, könne auch "religiös Unmusikalischen" - wie er sich einschätzt - etwas sagen. Die Welt bleibe angewiesen auf Versöhnung und Vergebung - also auf Werte, die der Religion entstammen. Er bezieht sich auf das "Leiden der unschuldig Misshandelten, Entwürdigten und Ermordeten, das über jedes Maß menschenmöglicher Wiedergutmachung hinausgeht". "Die verlorene Hoffnung auf Auferstehung hinterlässt eine spürbare Leere" (in der säkularen Gesellschaft).
Bei aufgeklärten Christen findet
Habermas gewichtige Vorleistungen, die nun umgekehrt auch weltliche Denker
gegenüber diesen Christen zu leisten hätten:
- Das religiöse Bewusstsein müsse die erkenntnismäßig
"dissonanten" Begegnungen mit anderen Konfessionen und Religionen
verarbeiten. Anmerkung: Immerhin ist im Abendland eine gewisse Zivilisierung
des Umgangs zu verzeichnen, die aber auch begrenzt ist. Gesichtspunkte, die für
einen ökumenischen oder interreligiösen Dialog wesentlich sein können, finden
sich in unserem Haupttext verstreut, und in einigen Extraseiten, z.B. betr. der Kirchen
und betr. Ethik.
- Es musste sich weiter auf die wissenschaftlichen "Autoritäten"
einstellen. Unsere Anmerkung: aus Sicht dieser Website ist der
wissenschaftliche Mainstream (Mehrheit) oft keineswegs auf dem oft betonten
neuesten möglichen Stand, oder wollte diesen aus wirtschaftlichen u.a. Gründen
nicht wahrhaben. Diese Form von Autorität ist daher in vielen Fragen
zweifelhaft geworden. Auch im wissenschaftlichen Bereich fehlt es an
interdisziplinärer Offenheit, und an dem nötigen Pluralismus. Dies gilt auch
gerade für wesentliche Fragen, die das Menschenbild berühren, etwa in der
Gentechnik (deren Problematik Habermas auch erwähnt); aber auch in den übrigen
Naturwissenschaften. Solche unterberücksichtigte neue wissenschaftliche
Erkenntnisse werden an mehreren Stellen unseres Haupttextes entlang der Schritte
der Evangelien aufgegriffen. Es ist aber richtig, dass ein Dialog zwischen
Religion und Wissenschaften notwendig ist. Nur müssen dann unserer Erfahrung
nach auch die neueren Strömungen der Naturwissenschaften **) einbezogen werden,
d.h. auch "Außenseiterforschung" usw. Außerdem müssen dann
vonseiten der Religion auch Erkenntnisse einbezogen werden, die aus der
bewussten Verarbeitung religiöser Tiefenerfahrungen stammen, statt bloßer
theologischer Denkgebäude. Nur so ist es möglich, nicht aneinander
vorbeizureden. Bisherige Dialoge auf der Basis veralteter wissenschaftlicher
Paradigmen (Grundvoraussetzungen, Weltbilder) bzw. verkürzter Vorstellungen von
Christentum greifen daher zu kurz. Auch Geisteswissenschaften könnten von einem
solchen Prozess profitieren, in dem der Mensch wieder zu einem Menschen wird,
seine Seele wieder zur Seele, statt zu einer bloßen chemischen
Hirnfunktion.
- Das religiöse Bewusstsein musste sich auf die "Prämissen eines
Verfassungsstaates einlassen...". Er verweist darauf, welche
Destruktivität sich ohne diesen Schritt im religiösen Bereich ergeben kann. Anmerkung:
Diese Anpassung von modernen Christen an freiheitliche Werte ist teilweise auch
ein Schritt in Richtung der Ursprünge vor der Verquickung des Christentums mit
staatlichen Zwangsinstrumenten seit 325 n.Chr.
Während also christliche bzw. religiöse Kreise sich im Umgang mit weltlichen Einrichtungen meist an deren Sprache anpassten, müssten sich nun nach Habermas die rein weltlich denkenden und sprechenden Kreise im Dialog mit Christen bzw. religiösen Menschen auf deren eigentliches Denken einstellen, statt "das, was einmal gemeint war", bloß zu "eliminieren". Säkulare Mehrheiten dürften in für Gläubige wesentlichen Fragen keine Mehrheitsentscheidungen durchdrücken, ohne ernsthaft geprüft zu haben, was sie selbst von dem Einspruch von dieser Seite lernen können. Anmerkung: Nun denn, sollen in der Tat Naturwissenschaftler, Politiker, usw. sich im Gespräch mit Christen tatsächlich auf das gewisse "Etwas", einstellen, das in Begriffen wie "die Schöpfung bewahren", "Geschöpf", selbst "Mensch" usw. zusätzlich mitschwingt, gegenüber Begriffen wie Kosmos, Biosphäre, Ökologie, Lebewesen, Homo Sapiens... .
Habermas setzt auf eine vermittelnde "dritte Partei" zwischen Religion und Wissenschaft: einen "demokratisch aufgeklärten Common sense" (Gesunder Menschenverstand/ -Vernunft); und dies in einer "post-säkularen Gesellschaft", die sich auf den Fortbestand religiöser Gruppen einstellt. Anmerkung: Das funktioniert bisher z.B. in Deutschland nur wenig, oder nur, insofern zumindest die großen Kirchen mehr oder weniger in Diskussionsprozesse einbezogen werden müssen. In den USA z.B. genießt zwar die religiöse Betätigung der Einzelnen eine größere Achtung; aber die religiösen Werte kommen dafür dort in einer Form in der säkularen Gesellschaft an, dass sie oft kaum als christlich wiederzuerkennen sind.
*) FAZ/ SZ 15.10.2001 oder Internettext;
**) siehe auch unsere Extraseite "Naturwissenschaft
und Gottesglaube"
***) Anmerkung: Habermas und weitere philosophische Richtungen: Jürgen
Habermas gehörte neben Theodor W. Adorno und Herbert
Marcuse zur "Frankfurter Schule", die mit ihrer
"kritischen Theorie" die Studentenbewegung von 1968 erheblich
beeinflusste, und damals abgewandelte neomarxistische, aufklärerische und
atheistische Denkweisen einbezog. |
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